Bürger als Bauernopfer

Öffnung des Flughafens Oberpfaffenhofens (Weßling)
für Geschäftsflieger bedroht eine der schönsten Regionen Deutschlands

Liebe Besucherinnen und Besucher,

mitten in der Über-Arbeitsphase für die nächste Ausgabe von DAS GEDICHT habe ich mit Entsetzen die Entscheidung der Regierung von Oberbayern zur Kenntnis genommen, den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen (Weßling) für den Geschäftsflugverkehr zu öffnen. Der „Wunschzettel“ des Flughafenbetreibers wurde, wie es die Süddeutsche Zeitung (SZ) heute in ihrer Starnberger Landkreisausgabe kommentiert, nahezu ohne Abstriche genehmigt.

Die gestrige Entscheidung der Regierung von Oberbayern ist ein Schlag ins Gesicht aller Bürgerinnen und Bürger, die im Westen von München leben und bedroht eine der schönsten Naturlandschaften Deutschlands. Denn Oberpfaffenhofen liegt inmitten des idyllischen Fünfseenlandkreises Starnberg. Hier leben traditionellerweise viele Künstler, für die Ruhe eine Grundvoraussetzung ist, um kreativ arbeiten zu können. Aus demselben Grund haben sich auch etliche High-Tech-Unternehmen im westlichen Landkreis Starnberg angesiedelt. Die barocke Schönheit dieser Landschaft, in der sich sanfte Hügel mit Badeseen abwechseln, zieht traditionell viele Naherholungssuchende aus München und Touristen aus aller Welt an. Auch Kloster Andechs verdankt einen Teil seines Charmes der Einbettung in diese reizvolle Umgebung.

Wer sich auf der Großdemonstration mit rund 5.000 Demonstranten am vergangenen Sonntag in Weßling mit offenen Augen umgesehen hat, konnte unschwer erkennen, dass sich dort keine „linken Spinner“ versammelt haben. Vielmehr reichten sich in der Menschenkette rund um den Weßlinger See Bürgerinnen und Bürger aus allen Bevölkerungsschichten, vom Bauer bis zum ehemaligen Präsidenten des Bayerischen Landeskriminalamtes, Hermann Ziegenaus, die Hände. Die Veranstalter, die diese Demonstration gegen die Erweiterung des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen in ein hochkarätiges Kulturprogramm eingebettet haben, bewiesen mit ihrem friedlichen Bürgerprotest auf eindrucksvolle Weise, welches geistige Potential diese Region zu bieten hat und auf welchem kultivierten Niveau hier selbst Demonstrationen stattfinden.

Auch wenn nicht wenige lokale CSU-Politiker und Würdenträger am vergangenen Sonntag gegen die Flughafenerweiterung mitdemonstrierten, scheint sich seit den Zeiten von Franz Josef Strauß an der generellen Einstellung dieser Partei gegenüber der Luftfahrt nichts verändert zu haben. Es stellt sich deshalb, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, die berechtigte Frage „wie unabhängig die Regierung noch entscheiden konnte oder durfte“. Dass die Regierung von Oberbayern in ihrer Presseerklärung schreibt, sie habe den Antrag des Flughafenbetreibers „nur unter Einschränkungen genehmigt“, bezeichnet die SZ als „reinsten Hohn“.

In meiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung „FlugKunst“ beschrieb ich die bereits existente Lärmsituation in Weßling. Ich habe in den letzten 16 Jahren hier zusammen mit meinem Team so effektiv für die Lyrik arbeiten können, dass das oberbayerische Dorf Weßling, wie es der Intendant der Berliner Festspiele, Joachim Sartorius auf der Zehnjahresfeier im Literaturhaus München im Jahr 2002 formuliert hat, zum „Hauptdorf der deutschen Poesie“ geworden ist. „Das deutsche Lyrik-Imperium wird seit 15 Jahren von Bayern aus regiert“, titelt zum 15 jährigen Bestehen von DAS GEDICHT die Zeitschrift „Bayern im Buch“ des Sankt Michaelbundes (Ausgabe 2008 / 1). Auch wenn ich selbst etwas bescheidener denke, sagt die Tatsache, dass Weßling nicht selten bundesweit von Nachrichtenagenturen im Zusammenhang mit Lyrik genannt wird und immer wieder auch mit diesem Thema in den Fernsehabendnachrichten z. B. der ARD auftaucht, etwas über die Bedeutung aus, die unserer Arbeit beigemessen wird.

Angesichts des Satzes „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, betrachte ich es als keine Selbstverständlichkeit, dass mich der Landkreis Starnberg vor einigen Jahren mit seinem Kulturpreis ausgezeichnet hat und ich bin ihm dafür auch dankbar. Und ich freue mich darüber, dass ich auch im Rahmen der Demonstration am vergangenen Sonntag die Gelegenheit bekam, zusammen mit dem Schauspieler Peter Weiss mit Gedichtbeiträgen gegen die Erweiterung des Geschäftsflughafens zu protestieren und werde in dieser Beziehung weiter mit meinen Mitteln zur Stelle sein, wenn ich gebraucht werde.

Ob für mich der Landkreis Starnberg längerfristig der Mittelpunkt meines (Arbeits-)Lebens bleiben wird, kann ich heute noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich denke ernsthaft Alternativen an und bin sicherlich nicht der einzige Arbeitgeber, der sich diesbezüglich Gedanken macht.

Dass wegen des zweifelhaften Profites einiger weniger die Bürgerinnen und Bürger einer der schönsten Regionen Deutschlands als Bauernopfer der (im Übrigen wenig zukunftsträchtigen) Flugzeugbranche verschaukelt werden sollen, halte ich für völlig unverzeihlich. Es ist ja hinreichend bekannt, welche Partei hierzulande für die operativen Entscheidungen als Regierungspartei verantwortlich ist. Und angesichts solcher Erfahrungen, die viel über deren Demokratieverständnis aussagen, ist es jetzt wirklich an der Zeit, dass sie abgelöst wird. Im September 2008 besteht dazu erstmals eine realistische Chance.

Ich bin heute traurig und frustriert und habe eine schlaflose Nacht hinter mir. Die gestrige Entscheidung der Regierung von Oberbayern ist ein schwarzer Tag für die Gemeinde Weßling und ein schwarzer Tag für den ganzen Landkreis Starnberg. Ein schwarzer Tag auch für all jene, die hier geistig arbeiten müssen, ein schwarzer Tag also auch für die deutsche Lyrik. Dass die Erweiterung des Flughafens auch die hiesigen Immobilien entwertet und damit auch meine eigene Altersvorsorge gefährdet, ist ein Aspekt, der mich ganz privat betrifft.

Aber ich denke, wir haben alle nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Stimme. Und davon werden wir auch im buchstäblichen Sinne Gebrauch machen.

Mit herzlichen Grüßen
aus der Weßlinger Einflugschneise,

Ihr Anton G. Leitner

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