Die Jubiläumsausgabe von "die horen" ist erschienen

die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik (Hg. von Jürgen Krätzer); Bd. 58. Jahrgang, Band 250

die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik (Hg. von Jürgen Krätzer); Bd. 58. Jahrgang, Band 250

Soeben ist die 250. Ausgabe der Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik “die horen” im Wallstein Verlag (Göttingen) erschienen. Sie widmet sich auf 320 Seiten dem Thema “LiteraturZeitSchriften”. Die beiden horen-Herausgeber Jürgen Krätzer und Sascha Feuchert haben mich eingeladen, in ihrer Jubiläumsausgabe ein wenig aus dem Nähkästchen meiner eigenen editorischen Erfahrungen zu plaudern. Und ich habe mich von den beiden Kollegen doch tatsächlich anstiften lassen, “aus dem Alltag eines Lyrik-Verlegers” zu berichten.
Herausgekommen ist dabei eine sechsseitige Glosse, die unter dem bezeichnenden Titel “Wie einem beim Verzehr von Steinbutt der Appetit auf Lyrik vergehen kann” nicht mehr und nicht weniger enthält, als das scherzhafte Schmerzprotokoll des ständigen GEDICHT-Herausgebers (a. a. O. S. 157 ff.). Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
»Pressköter und Tintenstrolche!« LiteraturZeitSchriften. Reihe: die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik (Hg. von Jürgen Krätzer); Bd. 58. Jahrgang, Band 250

Leseprobe

Wie einem beim Verzehr von Steinbutt der Appetit auf Lyrik vergehen kann.

Aus dem Alltag eines Lyrik-Verlegers

von Anton G. Leitner
Als ich 1993 meinen Entschluss, die buchstarke Jahresschrift DAS GEDICHT zu gründen, endgültig in die Tat umsetzen wollte, warnte mich der Herausgeber einer traditionsreichen deutschen Literaturzeitschrift nachdrücklich: Sobald er in München in die Trambahn oder in ein anderes öffentliches Verkehrsmittel einsteige, verstecke er sofort sein Gesicht hinter einer aufgeschlagenen, möglichst großformatigen Zeitung. Ihn begleite die ständige Angst, etwa bei einer Fahrkartenkontrolle plötzlich aufsehen zu müssen. Wenn er dies täte, liefe er nämlich Gefahr, dass ihn mindestens 90 Prozent der Mitfahrer als jemanden erkennen würden, der schon einmal ein unverlangt eingesandtes Gedichtmanuskript abgelehnt habe. Er fürchte, dass sich dann der ganze Triebwagen voller enttäuschter Dichter auf ihn stürze und er nicht mehr mit heiler Haut aus dieser Straßenbahn des Todes herauskäme. Für einen Herausgeber von Poesie kann jede Fahrt in einem öffentlichen Verkehrsmittel die letzte sein, so viel ist bei mir hängen geblieben.
Allen Warnungen zum Trotz legte ich damals mit meiner eigenen Zeitschrift los. Zunächst verlief alles in perfekter Harmonie: Binnen kürzester Zeit erhielt ich hunderte von Zusendungen. Mancher Bekannte, der schon jahrelang abgetaucht war, stand auf einmal vor der Tür, „um alte Zeiten wiederaufleben zu lassen.“ Aber überwiegend wurden Unbekannte bei mir vorstellig.
Männliche Einsender prunken gerne mit der Berufsbezeichnung „Freier Schriftsteller“ und fügen mehrseitige „biobibliografische Angaben“ bei, auf denen akribisch vermerkt ist, wann und wo jedes ihrer Gedichte bislang publiziert worden ist, angefangen von der Schülerzeitung bis zum örtlichen Anzeigenblatt. Um den Anschein der Professionalität zu unterstreichen, geben sie gleich mehrere Bankverbindungen an und schicken – der Einfachheit halber – freigestempelte Sendungen direkt von ihrem Arbeitsplatz los. Kuverts mit dem Aufdruck „Ihre AOK – Die Gesundheitskasse“ scheinen bisweilen mehr Lyrik als nüchterne Versicherungsprosa zu transportieren.
Frauen lieben es, in geschwungenen Lettern auf Bütten ihre Doppelbegabung als „Lyrikerin und Künstlerin“ anzukündigen. [ . . .]

Rückblick: Festwoche der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e. V., Leipzig

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