Berührende Erinnerungen: Anton G. Leitner hat eine Hommage an den Vater verfasst – anekdotenreich, tiefgründig, erschütternd und saukomisch

Anton G. Leitner am Weßlinger See mit seinem neuen Buch »Vater, unser See wartet auf dich«, in dem er seinem vor zwei Jahren verstorbenen Vater Anton Josef Leitner ein literarisches Denkmal setzt. – Foto: Maren Martell

eine Buchvorstellung von Jan-Eike Hornauer (zuerst erschienen auf: DAS GEDICHT blog, 03.05.2023, morgens)

Der Vater fehlt. Er wird weiter geliebt. Es gab immer eine große Nähe zu ihm – und deshalb freilich auch so manche Reibung. Die durchaus auch mal zu Funken führen konnte und – wenn es so etwas gibt – kleineren Flächenbränden. Gerade in der Jugend des Autors. Die wiederum ist schon eine gute Weile her, der Sohn, Anton G. Leitner, hat die 60 inzwischen knapp überschritten. Doch – wer kennt das nicht? – gerade die frühen Ereignisse prägen, gerade die frühen Erinnurungen bleiben immer präsent.

Heute vor zwei Jahren ist dann der Vater im Alter von 82 Jahren gestorben, Anton Josef Leitner, begeisterter Altphilologe und Humanist sowie Gründungsdirektor des Carl-Spitzweg-Gymnasiums (CSG) in Germering, dem er dann auch fast ein Vierteljahrhundert vorstand. Nachvollziehbar: ein ungeheurer Verlust.

Umso mehr, lässt sich vermuten, da Sohn und Vater sich bis zum Schluss ein Grundstück teilten (freilich zusammen mit ihren Ehepartnerinnen Felizitas und Ingrid) – weit herumgekommen ist der Dichter Leitner, wie man weiß und wie er selbst auch gerne freudestrahlend proklamiert, ja hauptsächlich im Geiste. Ja, sein Verlag befindet sich sogar auf demselben Grundstück und die Hausarztpraxis seiner Ehefrau auch. Verwurzelter geht es kaum.

Erinnerungsfetzen, Momentaufnahmen, Reflexionen

Wie damit umgehen, wenn dann der Vater nicht mehr ist? Der Sohn Anton hat seinen Weg gefunden. Er hat Erinnerungsfetzen, Momentaufnahmen, Reflexionen zusammengetragen, gut ein Jahr lang vom Todestag des Vaters an (einige davon hat er auch hier im Blog als »Vers der Woche« veröffentlicht). Für sein Buch »Vater, unser See wartet auf dich«, das heute, zum zweiten Todestag des Vaters erscheint, hat er alle Texte nochmals durchgesehen und feingeschliffen, angeordnet und um Fotos ergänzt.

Herausgekommen ist ein intimes Buch, ein ehrlicher Einblick, eine große Hommage. Prosanahe Skizzen, die als kompakte Textstelen gesetzt sind, dominieren dabei, doch auch typische Leitner-Gedichte, solche mit zweifellos lyrischer Optik und eng getakteten Zeilenumbrüchen, sind zu finden. Es ist zu verfolgen, wie der Dichter den Verlust des Vaters verarbeitet, denn die Gedichte, die lyrischen Texte sind nach ihrem Entstehungsdatum angeordnet. Inhaltlich sind dabei zwei große Schwerpunkte auszumachen: Kindheits- und Jugenderinnerungen und das Lebensende des Vaters sowie die Momente danach.

Es geht ums zutiefst Menschliche – und so verweisen die Texte über sich hinaus

Anekdoten und Schlüsselmomente, zutiefst menschliche Macken und Kanten sind hier ganz konkret gezeigt, so dass es wirklich um diese spezifischen Leben geht, um die Menschen Anton und Anton, je unverwechselbar und geprägt von grandioser Dickschädeligkeit, von herrlichem Geltungsdrang – sowie Verletzlichkeit, Mitgefühl und einem unerschütterlichen humanistischen Grundgerüst.

Da werden sich schon mal die Fäuste blutig und wird die Tür eingeschlagen, und wie ein Rachegott stürmt der Vater herein, als Kleinanton ihn beim Zeitungsreinholen im Morgenmantel in die Kälte ausgesperrt hat, doch dann sitzt man auch wieder friedlich beieinander, genießt einvernehmlich das Rauchwerk, Vater und Sohn (die Mutter darf nichts wissen!). Da wird erst die Rock-Musik des Buben verurteilt – und dann, versöhnlich und angetan, doch anerkannt. Um Familienurlaube geht es, um den Ort Weßling, der ohne den hier flanierenden oder die Gemeinde via Fahrrad beehrenden und quasi jeden huldvoll und freundlich grüßenden Vater gar nie vorstellbar war. Und um den Abschied, den langsamen erst: Anton sen. wird alt, er kann und tut nicht mehr alles wie früher, auch wenn er viel beibehält (etwa unterrichtet er bis zum Schluss, er gibt Nachhilfe). Der Sohn bemerkt das, macht sich seine Gedanken. Und auch die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden verschieben sich, klar: Nun muss der Vater nicht mehr vom Sockel gestoßen, nun muss er unterstützt werden. Und schließlich geht’s um den schnellen, ja, den plötzlichen Abschied: Ein Treppensturz passiert, wohl ausgelöst durch einen Schlaganfall. Rapide geht es bergab, wenige Tage danach stirbt der Vater. Dabei kommt es zu dramatischen Szenen, etwa wenn der Sohn im Krankenhaus größte Mühe hat, zum Sterbenden vorgelassen zu werden – wegen Corona.

Der Blick des Dichters auf den Vater: immer liebevoll, nie unkritisch

Sehr berührend sind die Texte, von existentieller Verzweiflung, aber auch saukomisch, dem Anekdotenhaften verpflichtet, doch nicht beliebig und ihre Figuren sowie die Leserinnen und Leser stets ernst nehmend. Sie sind eine Verbeugung vor dem Vater – und dabei gerade deswegen gelungen, weil sie ihn nicht verklären, sondern ihn in seiner Großartigkeit und Fehlbarkeit, weil sie ihn mitsamt seinen Widersprüchen zeigen. Der Blick des Dichters ist dabei stets liebevoll, aber eben niemals unkritisch. Dabei verweisen die Erinnerungstexte über sich hinaus, zeigen mehr als nur die Beziehung zweier Menschen, sie sagen etwas aus auch über die Zeiten, in denen sich all dies abspielte (die langen Autofahrten nach Italien im vollgepfropften Kleinwagen etwa kann man ja durchaus als kollektive bundesrepublikanische Erinnerung werten, ebenso den musikalischen Konflikt zwischen Vater und Sohn). Und sie sagen etwas aus über Kind-Eltern-Beziehungen allgemein. Um nur zwei Ansatzpunkte zu nennen.

Anton G. Leitner legt mit »Vater, unser See wartet auf dich« ein Buch vor, das anekdotenreich, tiefgründig, erschütternd und saukomisch ist; es liest sich, im besten Sinne, einfach weg. Und nach der Lektüre ist man bereichert sowie – und das ist wichtig – angenehm beseelt. Empfindsam wird hier Abschied genommen und dabei das Leben, der Mensch Anton Josef Leitner gefeiert.

Die ersten Male aus seinem neuen Buch liest Anton G. Leitner am 9. Mai in Berlin (Buchpremiere) und am 14. Mai in Schleswig (auf der Duo-Lesung mit Manfred Schlüter).


Eckdaten zum Buch

Anton G. Leitner
Vater, unser See wartet auf dich
Erinnerungsstücke und nachgerufenen Verse

Mit einem Vorwort von Ulrich Johannes Beil
Mit 17 Fotos aus dem Privatarchiv von Anton G. Leitner
Hardcover mit Lesebändchen
112 Seiten, 12,5 x 21,0 cm
€ 20,00 [D]
ISBN 978-3-929433-39-5


Weiteres Infomaterial


Literarischer Frühschoppen am 14. Mai: Leitner und Schlüter kredenzen neue Verse in der Alten Seilerei Schleswig

Anton G. Leitner und Manfred Schlüter lesen in der Alten Seilerei Schleswig – Fotos: Peter Boerboom (l.) und Arne Rautenberg (r.)

Zum literarischen Frühschoppen kredenzen der Poet aus dem tiefen Süden, Anton G. Leitner, und sein Pendant aus dem hohen Norden, Manfred Schlüter, jeweils neueste Verse. Rein geschmacklich reichen sie dabei eine große Bandbreite dar, vom leichten Anekdoten- bis zum schweren Trauergedicht, von süßlich alberner Kinderlyrik bis hin zum salzigen Erwachsnenversen, frisch an der Küste gefangen. Heiter, beschwingt, aber auch mit angenehmem Ernst und Tiefe wird so am 14. Mai in der Alten Seilerei Schleswig ab 11 Uhr so richtig in den Sonntag gestartet. Ideal ist die gut einstündige Lesung, an deren Anschluss auch noch mit den Autoren diskutiert werden kann, wie Veranstalterin Annette Oellerking betont, auch als Muttertagsausflugsziel geeignet, für Paare, Familien und Literaturfreunde allgemein. Die Türen ihrer Alten Seilerei hält Oellerking an diesem Tag übrigens bis 17 Uhr geöffnet. Sie wünscht sich ein Kommen und Gehen, Lesen und Hören den ganzen Tag lang, sozusagen einen Ganztags-Sonntags-Frühschoppen. Voranmeldungen bis Mittwoch, 10. Mai, sind von ihr erbeten: info@oe3sl.de oder Tel. 04621 36 04 36.
Eintritt: 7 Euro, inkl. Frühschoppen-Getränken.

Die Veranstaltungseckdaten im Überblick:

So, 14. Mai 2023, ab 11 Uhr

Frühschoppen und Poesie
Anton G. Leitner & Manfred Schlüter

Manchmal sah die Zeit
den Menschen zu und wunderte sich
Von der Kraft der Erinnerung und der Lust zu träumen

Alte Seilerei Schleswig
Margarethenwallstraße 7a
24837 Schleswig


Anton G. Leitner lebt als vielfach ausgezeichneter Lyriker, Verleger und Herausgeber in der Nähe von München. Seit mehr als dreißig Jahren ediert er die buchstarke Jahresschrift »Das Gedicht«, die »zu den wirkmächtigsten und einflussreichsten Publikationen im deutschen Sprachraum« gehört (Jury Verlagsprämie Freistaat Bayern 2022). Er veröffentlichte bislang 15 eigene Gedichtbände, »die mit zum Besten gehören, was die zeitgenössische Lyrik zu bieten hat« (WDR, Matthias Ehlers). In der Alten Seilerei in Schleswig präsentiert er erstmals seinen druckfrischen Band mit Erinnerungstücken an den verstorbenen Vater: »Vater, unser See wartet auf dich«.
Aus dem Klappentext: Am 3. Mai 2021 verstarb der beliebte Pädagoge Anton Josef Leitner. Sein überschäumendesTemperament in Kombination mit altbairischem Witz und Columboartiger Schrulligkeit machten den Vollblut-Altphilologen zu einem unverwechselbaren Original. Anton G. Leitner, sein einziger Sohn, verarbeitet den schmerzlichen Verlust in mal wehmütigen, mal urkomischen Nachrufen. Zum zweiten Todestag von Anton Josef Leitner erscheinen diese poetischen Erinnerungsstücke in einem Band, der den Vater und seine große Menschenliebe wieder zu sprudelndem Leben erweckt.
www.AntonLeitner.de | www.dasgedicht.de | www.dasgedichtblog.de


Manfred Schlüter liest aus seinen Büchern, die im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen sind. Unter anderem aus »GURUKU GUGUKURU – Gedichte für Kinder und andere Menschen«. Das Buch war 2022 für den Josef Guggenmos-Preis für Kinderlyrik nominiert. In der Begründung der Jury heißt es:
»Auch wenn Schlüter seine großen Vorbilder wie Morgenstern und Ringelnatz nicht verleugnet, so sind seine sprachspielerischen, oft lautmalerischen Texte, deren Provenienz vom klassischen Reim (…) bis zur konkreten Poesie (…) reicht, sehr innovativ. Seine Texte sind von Humor und hintergründigem Witz getragen und warten mit erstaunlichen Pointen auf, sein Ideenreichtum und seine sprachliche Gestaltungskraft scheinen unerschöpflich.«
Neben seinen Büchern für Kinder hat er bislang unveröffentlichte Gedichte für Erwachsene im Gepäck. Sie alle atmen die salzige Luft der See und sind in jener Küstenregion zu Hause, in der Manfred Schlüter seit fast einem halben Jahrhundert lebt und arbeitet.
www.manfred-schlueter.com


Buchpremiere: Anton G. Leitner stellt seinen neuen Gedichtband »Vater, unser See wartet auf dich« am 9. Mai auf den Bayerischen Buchtagen in Berlin vor

Wieder auf der Autorenliste der Bayerischen Buchtage in Berlin steht Anton G. Leitner auch in diesem Jahr – und heuer gar mit einer ganz besonderen Veranstaltung: der Premierenlesung zu seinem neuen Solo-Lyrikband »Vater, unser See wartet auf dich« am Dienstag, 9. Mai, ab 20 Uhr in der Galerie Tor218 Artlab. Es ist ein Erinnerungsbuch an den vor zwei Jahren verstorbenen Vater – die Gedichte darin sind voller Humor, Zuneigung, Lebenslust und natürlich auch Trauer. Sie enthalten Anekdoten, Schlüsselszenen und Reflexionen, sie leuchten das enge und nicht immer einfache Verhältnis zwischen Vater und Sohn aus – und verweisen, bei allem Persönlichen und Indivduellen, auch klar über sich hinaus.

Die Veranstaltung im Detail:

Bayerische Buchtage – Buchpremiere

Anton G. Leitner
Vater, unser See wartet auf dich
Erinnerungstücke und nachgerufene Verse

Mit:
Autorenlesung: Anton G. Leitner
Gespräch mit Georg Maria Roers (Beauftragter für die Bereiche Kunst undKultur im Erzbistum Berlin; aufgewachsen ist er am Niederrhein)
Moderation: Jörg Braunsdorf (Tucholsky-Buchhandlung)

Dienstag, 9.5.23 – ab 20 Uhr (Bar geöffnet ab 19 Uhr)
Galerie Tor218 Artlab Berlin
Andreas F. J. Lechner
Torstr. 218, 10115 Berlin-Mitte
Tel: +49 (0)30 622 06 585 – Mail:
tor218artlab@gmail.com

Kartenvorverkauf: https://www.eventbrite.com/e/buchpremiere-vater-wo-bist-du-von-anton-g-leitner-tickets-616557168087
Karten im Vorverkauf: 10 €
Karten an der Abendkasse: 15 €

edition DAS GEDICHT
ISBN 978-3-929433-39-5
www.dasgedicht.de

Anton G. Leitner – Foto: Peter Boerboom

Das sagt Ulrich Johannes Beil, Lyriker und Professor für neuere deutsche Literatur in Japan, zu diesem Buch:

»Vater, unser See wartet auf dich ist ein sehr persönliches, fast intimes Buch geworden, eine lyrisch-prosaische Trauerarbeit, die, trotz teils deftiger Einlagen und Anekdoten, den Schmerz über diesen Verlust nicht verbergen kann, ihn vielmehr immer von neuem umkreist und sich einer Existenz danach zu vergewissern sucht.

Nach diesem Buch weiß man: Anton Josef Leitner ist nicht tot. Er lebt weiter, auch und vor allem in diesen so anrührenden wie wütenden, so liebevollen wie galgenhumorigen Erinnerungsstücken, in dieser eigenwilligen, sprachkräftigen Hommage an ein bayerisches Leben.«

Festlesung zum Jubiläum: DAS GEDICHT #30 wird am 8. November im Münchner Lyrik Kabinett vorgestellt

Herausgeber Anton G. Leitner lädt ein zur Jubiläumsfestlesung: Am 8. November wird im Lyrik Kabinett die 30. Ausgabe seiner Jahresschrift DAS GEDICHT präsentiert. Foto: Peter Boerboom (Münsing).

Seit nunmehr drei Jahrzehnten erscheint die buchstarke Jahresschrift DAS GEDICHT – und feiert damit heuer ein stolzes Jubiläum. Ihre 30. Ausgabe wird am Dienstag, 8. November, entsprechend feierlich im Münchner Lyrik Kabinett präsentiert. Sie hat den Titel »offen«, und dieser meint: Die Gedichte können die Offenheit behandeln, sie können aber auch themenfrei sein.

22 Poetinnen und Poeten lesen ihre Poeme aus DAS GEDICHT #30, darunter: Nora Gomringer, Friedrich Ani, Sujata Bhatt und Michael Augustin. Dazu gibt’s auch eine kleine Gesprächsrunde mit den beiden Gründungsherausgebern der Zeitschrift, Anton G. Leitner und Ludwig Steinherr, sowie Uwe-Michael Gutzschhahn, der ihren Kinderlyrik-Teil 2016 initiiert hat und ihn bis heute betreut. Für die Jubiläumsausgabe von DAS GEDICHT wurde der AGL Verlag im September mit der Verlagsprämie des Freistaats Bayern ausgezeichnet, nur wenige Monate zuvor hat er zudem den Deutschen Verlagspreis erhalten. Zu feiern gibt’s also an diesem Jubiläumsfestlungsabend genug – vor allem aber soll die Poesie, soll das lyrische Wort genossen werden.


Die Informationen zur Jubiläums-Premierenlesung, wie im Veranstaltungsflyer enthalten:

30 Jahre DAS GEDICHT
Jubiläumsausgabe #30: »offen«
Poesie-Festlesung zum 30. Geburtstag des Lyrikmagazins
Dienstag, 8. November 2022
19:00 Uhr bis ca. 21:30 Uhr (inkl. Getränkepause)
Einlass ab 18.30 Uhr
Lyrik Kabinett | Amalienstr. 83 a | 80799 München
Eintritt: € 10,- (ermäßigt € 8,-)
Abendkasse, freie Platzwahl
Vorverkauf über Anton G. Leitner | DAS GEDICHT
service@dasgedicht.de • Tel. +49 (8153) 952522
www.dasgedicht.de | www.dasgedichtblog.de

Die buchstarke Jahresschrift DAS GEDICHT wird 30. Seit der ersten Folge ist Anton G. Leitner aus dem oberbayerischen Dorf Weßling der editorische und verlegerische Motor des Projekts, wofür er am 22. Juni 2022 in Leipzig mit dem »Deutschen Verlagspreis« des Bundes ausgezeichnet wurde. Seine Zeitschrift, die seit drei Jahrzehnten ohne jede Unterbrechung erscheint, und vor allem mit Themenheften am Puls der Zeit für Furore sorgt, steht im Jubiläumsjahr 2022, das von Pandemie, Krieg in Europa, Klimawandel und deren Folgen geplagt ist, unter dem Motto »offen«. Es gibt nur wenige Wörter im deutschen Sprachschatz, die eine solche Bedeutungs- und Assoziationsvielfalt aufweisen wie dieses schlichte Eigenschaftswort: Wir alle kennen die offene Rechnung, die offene Wunde, das offene Geheimnis, aber auch offene Grenzen, offene Herzen, möglicherweise sogar offene Beziehungen, ganz zu schweigen von offenen Fragen, die sich im offenen Gespräch mit offenen Freunden vielleicht nicht endgültig beantworten lassen, wohl aber zu einem offenen Ergebnis führen können. Wenn man sich nur öffnet dafür.

Ende September 2022 hat der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, in München bekanntgegeben, dass die Jubiläumsausgabe #30 von DAS GEDICHT mit der »Verlagsprämie des Freistaats Bayern 2022« ausgezeichnet wird.

Zur Premiere der Jubiläumsausgabe DAS GEDICHT #30 am 8. November 2022 im Münchner Lyrik Kabinett feiern, diskutieren und lesen die beiden Gründungsherausgeber der Zeitschrift, Anton G. Leitner und Ludwig Steinherr zusammen mit dem langjährigen Kinderlyrik-Redakteur Uwe-Michael Gutzschhahn. Danach treten weitere Poetinnen und Poeten der Jubiläumsausgabe #30 auf: Nora Gomringer (Bamberg), Friedrich Ani (München), Sujata Bhatt und Michael Augustin (beide Bremen), Frank Klötgen (München), Christoph Leisten (Würselen) und viele andere.

Veranstalter: Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT. Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und der Stiftung Lyrik Kabinett.

Bei der Veranstaltung gelten die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Pandemieregeln.

Mitwirkende in alphabetischer Reihenfolge:

Friedrich Ani (München)
Michael Augustin (Bremen)
Sujata Bhatt (Bremen)
Josef Brustmann (Icking)
Jürgen Bulla (München)
Andreas H. Drescher (Saarlouis)
Nora Gomringer (Bamberg)
Norbert Göttler (Herbertshausen)
Uwe-Michael Gutzschhahn (München)
Meike Harms (Gilching)
Jan-Eike Hornauer (München)
Frank Klötgen (München)
Anton G. Leitner (Weßling)
Christoph Leisten (Würselen)
Christina Madenach (München)
Birgit Müller-Wieland (München)
Heike Nieder (München)
Sophia Lunra Schnack (Wien)
Ludwig Steinherr (München)
Christoph Leisten (Würselen)
Gabriele Trinckler (München)
David Westphal (München)


Download-Material zur Veranstaltung (bitte gerne frei verwenden):






Zuversicht, in Verse gegossen: Die Reclam-Anthologie »Lichtblicke« von Anton G. Leitner will mit lyrischen Mitteln Mut machen

[erstmals erschienen ist dieser Artikel auf »DAS GEDICHT blog« (am 20. September 2022), von dort ist er übernommen]

eine Buchvorstellung von Jan-Eike Hornauer

Gerade in schwierigen Zeiten braucht es dies: echte Mutmacher. Die Gedichte-Sammlung »Lichtblicke«, jüngst im Reclam-Verlag erschienen, will genau dies sein, ein Mutmacher, ein Zuversichtspender. Anton G. Leitner hat in dieser knapp 130 Seiten starken Hardcover-Anthologie im handlichen Geschenkbuchformat Poeme versammelt, die das Positive herausstellen, ohne kitschig zu sein, die in der Zukunft den Hoffnungsschimmer sehen oder gar eine Wendung ins richtig Glückliche, die auch im Dunklen noch ein Leuchten wahrnehmen oder ihm zumindest mit Humor begegnen.

Von Eichendorff bis Krausser: zeitgenössische Poeme und Klassiker gemischt

Dabei mischt er als Herausgeber klassische Gedichte (etwa von Fontane, Tucholsky, Lasker-Schüler, Rilke, Kaléko, Eichendorff und Wedekind) mit Poemen zeitgenössischer Dichter (wie Helmut Krausser, Matthias Politycki, Dagmar Nick, Meike Harms, Fitzgerald Kusz, Lutz Rathenow, Sabine Schiffner, Ludwig Steinherr und Gerhard Rühm). Für Letztere eine wichtige, aber keineswegs ausschließliche Basis: der ebenfalls von Leitner herausgegebene 29. Band von DAS GEDICHT (»Hoffnung & Aufbruch«).

Irdische und kosmische Natur als Glücksanker

Unterteilt ist die bei Reclam erschiene Hoffnungsanthologie »Lichtblicke« in vier Kapitel: »einfach glücklich«, »ja zum ja«, »vereinzelt sonnig« und »gemeinsam weiter«. In »einfach glücklich stellt sich schnell heraus: Natur und Kosmos sind echte Anker zum Glücklichsein. »was für eine nacht / sei still / die sterne singen!«, heißt es da etwa bei Fitzgerald Kusz. Alfred Lichtenstein besingt die »Mondlandschaft« im gleichnamigen Gedicht. Und Emmy Hennings reimt zum Thema Sternenlicht mit leichter Hand und Seele: »Wie schön ist es in dieser Nacht. / Was hat mich leiselieb geweckt? / Jetzt bin ich glücklich aufgewacht / Und finde mich mit Licht bedeckt.« Bertolt Brecht schwärmt »Vom Schwimmen in Seen und Flüssen«. Xóchil A. Schütz fühlt sich hier pudelwohl: »Im Schmetterlingsland, unter Grillen, Libellen / Am See / an einsamen Stellen«. Und Arno Holz schwärmt: »Schönes, grünes, weiches Gras. / Drin liege ich. / Mitten zwischen Butterblumen!«

Der Mensch in seinem Habitat, der Zivilisation: wehmuts- und hoffnungsvoll

Um das menschliche Leben an sich und in Resonanz zu Zivilisation sowie Gesellschaft dreht es sich in »ja zum ja«. Ingeborg Bachmann attestiert hier eine neue Alltäglichkeit: »Der Held / bleibt den Kämpfen fern.« Ludwig Steinherr sieht sich im städtischen Umfeld um und fordert: »Wir gegen das Nichts!« Dabei ist er sich sicher, »wir könnten eine Menge Spaß haben«, wenn man es nur spielerisch genug angeht, bei ihm heißt das hier: »als Baseballteam«.

Ein Rezept zum »Nicht müde werden« verrät Hilde Domin. Matthias Kröner schlägt die Brücke zum ersten Kapitel und rettet Natur in der Zivilisation (konkret befördert er Fliegen sanft aus seinen Wohnräumen in die Freiheit und sichert sich so, wie er augenzwinkernd berichtet, deren aufrichtige Dankbarkeit). Philip Saß beschreibt gar humorvoll das Zusammentreffen mit einer andren Zivilisation in Reim und Rhythmus, nämlich eine gar nicht mal so unangenehme Entführung durch Außerirdische. Hans Magnus Enzensberger sieht sich selber als »Der Fliegende Robert« und somit – so münzt er den Mythos auf sich um – mit einfachsten Mitteln aufs Wundervollste der niederdückenden Welt enthoben.

Doch auch die Wehmut kommt hier nicht zu kurz, und zwar diejenige, die auch etwas Tröstliches in sich birgt. Sie wird behandelt etwa von Johann Wolfgang Goethe in »Trost in Tränen«, von Theodor Fontane in »Überlass es der Zeit« und Matthias Politycki in seinem auch gleich mit »Wehmut« überschriebenen Poem. Daraufhin verbreiten Gerhard Rühm, in sprachspielerischer Manier, und Friedrich Schiller, im hohen und pathetischen Ton, Hoffnung. Und Jürgen Bulla unterstreicht: »zu dieser Zuversicht / da wolln wir wieder hin«. Was kann dabei helfen? Lustvoll »Wolliges«, wie bei Anna Breitenbach (was auch heißt: nie die Lust an Sprache und niemals den Faden verlieren), und die richtigen Schwerpunkte im Leben setzen, wie bei Alfons Schweiggert, der darauf hinweist, welcher Wunsch in keiner Bucket List enthalten ist: »Bevor ich sterbe, will ich ein neues Smartphone kaufen.«

Die Dinge einfach mal anders betrachten: der Misthaufen als Aussichtsplattform

Im dritten Kapitel (»vereinzelt sonnig«) zieht sich der Himmel ordentlich zu. Doch dabei zeigt sich auch: Ins Düstre stechen auch immer Lichtblicke hinein – und sie geben Hoffnung. Zudem, so wird klar, hilft es, der Misere mit Humor zu begegnen. Ein gutes Beispiel für all dies ist das »Trostgedicht« von Michael Augustin: »Je höher / dein Misthaufen // desto besser / die Aussicht«.

Und tierisch fröhlich sprachfehlernutzend rät Meike Harms in ihrem Langgedicht »im Namen des Frohsinns« dies: »Fink Positive«! Mit großem Ernst assistiert hier Christoph Kleinhubbert, der ein Ende der »Austernzeit« anmahnt, er kommt zu folgendem Resümee: »Die Zeit der Umarmungen ist nicht vorbei / Willst du das Licht sehen stell dich ans Fenster / Soll dein Herz weiter schlagen muss du furchtlos sein«. Wie man selbst der »Diagnise Krebs« noch eine heitere Seite abgewinnen kann, macht Robert Gernhardt vor. Und bei Erika Burkart findet ein Mann Trost darin, einen Baum zu pflanzen – denn er hinterlässt so etwas, das ihn selbst überdauert.

Tiefe Verbundenheit und romantische Gefühle – ein Wir für die Zukunft

Um die Verbundenheit, die Liebe zwischen zwei Menschen, um ein Wir für die Zukunft geht es in »gemeinsam weiter«, dem vierten und letzten Kapitel der »Lichtblicke«. Die besondere Beziehung zwischen Elternteil und Kind besingen in sanfter Freude Sabine Schiffner in »meine mutter und ich«, Martina Wied in »Der Nährvater« und Matthias Kröner, der sich entzückt und tief bewegt zeigt von der »Freude, / wenn du am Morgen zu mir ins Bett schlüpfst / und mir zeigst, / wie quietschvergnügt / Tage anfangen / können.«

Dass diese Verbundenheit auch im erwachsenen Alter noch gilt (oder gelten kann), zeigt sich bei Erich Kästner. In »Stiller Besuch« kommuniziert er gar nicht mit der Mutter, die in der kurzen Zeit bei ihm vollauf damit beschäftigt ist, Ansichtskarten zu schreiben. Doch die Nähe ist da, die Vertrautheit – und sie ist das Schöne. Eine Generation weiter greift Klára Hůrková aus, sie blickt auf den Enkel und mit ihm in die Zukunft: »Er schaut aus dem Fenster / in unser Nachher.« Und sie ist sich sicher: »Er nimmt uns mit in ferne Länder, / die wir nicht besuchen werden.« Auf die Kraft von Freundschaft und Völkerverständigung zwischen uns, die wir doch alle Menschen sind, setzt Salean A. Maiwald in ihrem »Verwandt«.

Und natürlich darf auch die romantische Liebe nicht fehlen, die in der ewigen Flüchtigkeit einer Nacht oder auch dem real dauerhaften Bei- und Zusammensein Ausdruck findet. Ihr widmen sich etwa Gabriele von Baumberg in »Morgenkuss nach dem Ball«, der Herausgeber Anton G. Leitner in »My Fair Lady«, August Stramm in »Blüte« und Arno Holz, der jubi- und tiriliert: »Und es war keine Welt mehr, / nichts, nichts, nichts, // es war nur noch Sonne, nur noch Sonne, // so schön warst du.«

Auf diesen Aufbruch folgt der Rückzug, der hier jedoch niemals ein finaler sein kann. So wird Uwe-Michael Gutzschhahn durch das Auffinden eines zwiefach mitgewaschenen Zettels die Sehnsucht nach einer Unbekannten und wohl auch Unauffindbaren geweckt. Und Corona wird zum Thema, romantisch bei Hellmuth Opitz, wo der Rückzug ins Zweisamprivate die ruhende Liebe wieder lebendig werden lässt, denn nun hat man Zeit, kümmert sich wieder umeinander, und es gilt ja schließlich: »Lieben ist ein Tu-Wort.« Bei Tamara Štajner träumt sich ein altes Ehepaar fort von Intensivstation und Lungenspülung, hin zu einem Neuanfang unter Kirschbäumen. Friedrich Rückert sehnt sich danach, dass geliebte Verstorbene doch noch da sind – und findet in der eigenen Fantasie Trost. Und Wolf-Dieter Grengel weiß, am Ende des Lebens, da muss man die guten Vorsätze doch ernst nehmen, und gemeinsam mit seiner Frau macht er dies: »Wir teilen uns den Himmel auf«.

Die Eckdaten zum Buch:

Lichtblicke
Gedichte, die Mut machen
Hrsg. von Anton G. Leitner
Hardcover im handl. Geschenkbuchformat
128 S., 12,00 Euro
ISBN 978-3-15-011377-6

Waschzettel zum Buch als PDF: https://dasgedichtblog.de/wp-content/uploads/2022/09/Leitner-AntonG_Lichtblicke-Gedichte-die-Mut-machen_Reclam_Waschzettel.pdf

Umschlag als PDF: https://dasgedichtblog.de/wp-content/uploads/2022/09/Lichtblicke_Anton-G-Leitner_Reclam_Umschlag.pdf

Bestellung im Reclam-Verlagsshop oder über jede Buchhandlung; hier geht’s zur entsprechenden Webseite bei Reclam: https://www.reclam.de/detail/978-3-15-011377-6/Lichtblicke

»Wadlbeissn« in Dresden: Anton G. Leitner mit bairischen und hochdeutschen Versen am 10. Mai beim Literaturforum

Anton G. Leitner mit seinem neuen Solo-Lyrikband – bairische und hochdeutsche Verse aus »Wadlbeissn« präsentiert er bald beim Literaturforum Dresden im Landhaus. Foto: Peter Boerboom

Zupackende Verse auf bairisch und hochdeutsch aus seinem neuen Gedicht-Soloband »Wadlbeissn« liest Anton G. Leitner am Dienstag, 10. Mai, auf Einladung des Literaturforums Dresden in der Städtischen Galerie im Landhaus, dem Sitz des Stadtmuseums Dresden. Seine kritischen, zugleich aber auch liebevollen Portraits der bayrischen Lebensart und Bevölkerung sind ab 19.30 Uhr zu erleben. Der satirisch-bissige, heitere, auch mal zärtliche und melancholische Abend ist Teil der Reihe »Literarische Alphabete« des Literaturforums.

Die Veranstaltung im Detail – wie vom Literaturforum Dresden angekündigt

Lesungen im Landhaus
Literarische Alphabete
Anton G. Leitner (Weßling) liest aus “Wadlbeissn” – Zupackende Verse
»Wadlbeissn« ist ein genuin bairisches Wort. Der Wadlbeißer als solcher zeigt sich als besonders hartnäckiger Mensch. Er lässt nicht locker und lehrt sogar manchem Großkopferten das Fürchten, weil er mit größter Beharrlichkeit Missstände aufdeckt.
Der gebürtige Münchner Anton G. Leitner ist seit jeher ein Poet des Realen. Mit seiner subversiven Mundartdichtung stellt er die Heimattümelei vom Kopf auf die Füße. nheit, die öffentliche Feuertaufe von Leitners zweitem Mundartband auf Bairisch und Hochdeutsch in seiner Heimatregion nachzuholen, und zwar am Donnerstag, den 28. April 2022, ab 20 Uhr.

Anton G. Leitners subversive Verse stellen jede Heimattümelei vom Kopf auf die Füße. EIndem er Situationskomik und Sozialkritik in die lautmalerische Muttersprache einbettet, gelingt ihm ein »pointiertes Portrait bayerischer Wesensart« (MUH-Magazin). Seine minutiöse Beobachtungsgabe, der auch nicht das kleinste Detail entgeht, macht Leitner gleichsam zu einem investigativen Vers-Reporter mit kabarettistischem Biss und hohem Unterhaltungswert. Damit der fließende Rhythmus des Bairischen auch jenseits weiß-blauer Horizonte neue Resonanzböden findet, hat er jedem seiner 67 Mundartgedichte eine Nachdichtung ins Hochdeutsche beigesellt.

»Poesie rettet den Tag« lautet Leitners Lebensmotto. Seit über vierzig Jahren publiziert er eigene Lyrik und seit drei Jahrzehnten gibt er die Zeitschrift »Das Gedicht« heraus, die heute als »Leitorgan der Poesie in Deutschland« (WAZ) gilt. Nach dem international beachteten Mundartdebüt »Schnablgwax« (2016) schenkt Anton G. Leitner sich und seinen Lesern zu seinem 60. Geburtstag am 16. Juni 2021 einen Jubiläumsband mit »zupackenden Versen«.

Dienstag, 10. Mai, ab 19:30 Uhr im Landhaus Dresden (Stadtmuseum, Städtische Galerie), Wilsdruffer Str. 2
Bairisch-Hochdeutsch (mit Übersetzung)
Eintritt: 6 / 4 Euro.
Anreise: Linien 1, 2, 3, 4, 7, 12, 62, 75 Pirnaischer Platz
Die Lesung ist barrierefrei zugänglich.

Literaturforum Dresden e.V. in Kooperation mit den Museen der Stadt Dresden.
Gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes. Gefördert von der Landeshauptstadt Dresden, Amt für Kultur- und Denkmalschutz.der Landeshauptstadt Dresden.


Die Eckdaten zum Buch:


Anton G. Leitner
Wadlbeissn
Zupackende Verse
Bairisch – Hochdeutsch
Volk Verlag
Mai 2021
Hardcover, SU, Lesebändchen
200 Seiten, 18,- Euro
ISBN 978-3-86222-352-7
Waschzettel (inkl. Leseproben)



Kostproben zum Reinhören, eingelesen vom Autor selbst: