Zupackende Verse aus »Wadlbeissn« mit Live-Musik vom bayrischen Musiker-Duo »Zwoa Bier« gibt’s am Donnerstag, 28. April, auf der Premierenlesung zu Anton G. Leitners neuem bairisch-hochdeutschem Solo-Lyrikband »Wadlbeissn«. Die bairische Mundart wird gefeiert und das Bayrische zugleich lustvoll-kritisch hinterfragt ab 20 Uhr im Saal des Kulturzentrums bosco in Gauting.
Die Veranstaltung im Detail – wie vom Kulturzentrum bosco angekündigt
Anton G. Leitner ist seit jeher ein Poet des Realen. Er schlägt sich mit zupackenden bairischen Gedichten aus seinem neuen Band »Wadlbeissn« durchs Unterholz der weiß-blauen Welt. Schon vor einem Jahr sollten seine damals druckfrischen »zupackenden Verse« im Gautinger bosco Kulturzentrum ihre Premiere feiern, aber Corona bremste, wie ja auch fast alles andre, die Wadlbeissn-Präsentation seinerzeit aus. Jetzt bietet sich endlich eine Gelegenheit, die öffentliche Feuertaufe von Leitners zweitem Mundartband auf Bairisch und Hochdeutsch in seiner Heimatregion nachzuholen, und zwar am Donnerstag, den 28. April 2022, ab 20 Uhr.
Anton G. Leitners subversive Verse stellen jede Heimattümelei vom Kopf auf die Füße. Einmal mehr entpuppt sich der Weßlinger als investigativer Gedichtreporter mit kabarettistischem Biss und hohem Unterhaltungswert.
Zu Leitners deftiger Verskost liefert das Duo Zwoa Bier die passende, berauschende Musik. Zwoa Bier, das sind Michi Schauer und Sepp Bastl. Die beiden jungen Vollblutmusiker aus Bayern sind mehr als Hopfen und Malz im Quadrat. Sie verfügen über das, was alle großen bayerischen Künstlerinnen und Künstler immer schon ausgezeichnet hat: den typischen Saufaktor, der bei ihnen angereichert wird durch eine kräftige Prise schwarzen Humor und eine deftige Lust am offenen Wort.
Anton G. Leitner Wadlbeissn Zupackende Verse Bairisch – Hochdeutsch Volk Verlag Mai 2021 Hardcover, SU, Lesebändchen 200 Seiten, 18,- Euro ISBN 978-3-86222-352-7 Waschzettel (inkl. Leseproben)
Kostproben zum Reinhören, eingelesen vom Autor selbst:
[erstmals erschienen ist dieser Artikel am 20. Mai 2021 auf »DAS GEDICHT blog«, von dort ist er übernommen]
Mit »Wadlbeissn« ist kürzlich Anton G. Leitners zweiter Dialekt-Lyrikband erschienen – zwar, wie auch schon der Vorgänger »Schnablgwax«, stets mit hochdeutschen Übertragungen, die sowohl dem Verständnis dienen als auch einen augenzwinkernden Zugewinn bedeuten. Doch ganz klar: das Bayerische steht hier im Mittelpunkt, in Sprache, Denke, Wesensart.
»Mundartlyrik ohne Heimattümelei« attestiert Fitzgerald Kusz dem neuen Band im Vorwort. Und das sagt schon etwas aus, denn der Franke ist selbst hochdekorierter Mundartdichter (u. a. Bundesverdienstkreuz am Bande und Bayerischer Dialektpreis) sowie ein wahrer Pionier auf dem Gebiet des literarischen Dialektgebrauchs: Er formuliert seine kritischen und poetischen Weltbetrachtungen seit Jahrzehnten in seiner Muttersprache, also auf Fränkisch.
In seinem Vorwort für »Wadlbeissn« betont Kusz: »Gerade in Zeiten, in denen man am Zeitgeist eigentlich nur noch verzweifeln kann«, komme dem Satirischen eine besondere Bedeutung zu. Und »mit der ganzen Sprachkraft seines bairischen Dialekts« schaffe es Anton G. Leitner, »den Finger in jede nur erdenkliche Wunde« zu legen, und zwar so, »dass Beifall von der falschen Seite ausgeschlossen« sei.
Im Bayerischen Rundfunk urteilt man offenkundig ähnlich positiv über den Band: Der BR hat »Wadlbeissn« umgehend zum »Bayern 2 Buch-Favorit« erklärt und den Dichter aus Weßling in seine Favoriten-Sendung eingeladen. Am 4. Mai hat Moderator Christoph Leibold die neuen oberbairischen Verse ausführlich und lobend präsentiert und den »Wadlbeissn«-Autor interviewt (BR 2-Favoriten-Sendung vom 4. Mai 2021).
Kritisch-satirische Grundhaltung
Wer »Wadlbeissn« aufblättert, findet Kusz’ Einschätzung rasch bestätigt: In der Tat durchzieht eine kritisch-satirische Grundhaltung den ganzen Band. Was nicht bedeutet, dass hier ein Schenkelklopfer auf den nächsten folgt oder stille Poesie keinen Platz findet. Nein, gemeint ist vielmehr eine Sicht auf die Welt, die den Geist weiten will statt verengen, die nicht vorverurteilen will, doch weiß, dass es am Ende ein Urteil durchaus braucht – und man mit Humor einfach mehr ertragen und wohl auch verändern kann.
Es geht um die Perspektive von einem geselligen Mannsbild, das so erdverwachsen ist, dass für ihn selbst eine Urlaubsreise an sich ein Gräuel darstellt und er bis heute in seinem Heimatort, seinem Elternhaus gar lebt – und der doch Offenheit, Reflexion, Weitläufigkeit der Gedanken sucht und von anderen, mit Recht, einfordert. Heimatverbundenheit und Engstirnigkeit gehören für Leitner nicht zusammen – und das Spiel mit der Ironie wendet er vor allem auf die Gegend, auf das Land an, ohne das er weder kann noch will. Die »Wadlbeissn«-Verse sind eine Auseinandersetzung mit Heimat – kritisch, gewitzt und auch mal sentimental.
Für die Zweisprachigkeit des Bandes gilt: Dadurch, dass im Preußen-Schriftlichen die Penibilität und Geschraubtheit gegenüber der bairischen Fassung – bei aller Nähe zum Original – gerne mal erhöht wird, ergibt sich nicht nur ein erleichtertes Textverständnis auch für den im Bairisch-Lesen Ungeübten, sondern darüber hinaus oft ebenso ein humoristischer Zugewinn.
Nur selten einmal stößt die Übersetzung auch ungewollt an echte Grenzen. Ein Beispiel hierfür: Mag das »Tuabopfeadl« (so ein Gedichttitel recht zu Beginn der Sammlung) als Ausdruck für einen PS-starken Wagen noch Sinn ergeben, so muss man die direkte Übertragung als »Turbopferd« wohl als semi-geglückt bezeichnen. Doch solche Fälle sind die Ausnahmen, sie sorgen dann nur noch für ein besseres Verständnis des Originals. Gemeinhin aber erweitern die Übertragungen das Vorbild eben noch in Deutungsraum, Witz und Tiefe und sind für sich genommen gültig.
Typisch für das Vorgehen im satirischen Sinne ist, dass in »Kiachwei« (»Kirchweih oder Kirchliche Arbeitnehmerin«) das Original »De Dodschn in da Kiachgmoa warn so / Saua« übersetzt wird mit: »Die wenig mit Charme gesegneten Schäfchen seiner Gemeinde waren / Darüber so erbost«. Und wenn es in »Recht intensiv« im Hochdeutschen sehr ausufernd heißt: »Erster Studientag an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, / Auditorium maximum, ich wäre ganz schön verloren gewesen / Unter so vielen Kommilitonen, wenn nicht …« So wird in der oberbairischen Fassung nur knapp ausgesagt: »Easda Dog Rechdsvadrearei, / Audimax. I waar valoan gwen / Undda so vui Leid, wenn need …«
Das Kreuz mit der Familie: Dorfleben, Kirchengemeinde, Schulzeit und Co.
Das Buch ist in drei Kapitel eingeteilt, das erste »Des wead scho, Bua« (»Junge, du schaffst das schon«) überschrieben, befasst sich mit Jugend und Familie, mit erster Liebe (samt Schiebertanzen zu »Morning has broken« plus dem nostalgischen Blick von heute darauf) und (Ver-)Bildungserfahrungen, wobei neben der eigenen Zeit der Adoleszenz (inkl. Schullandheim) auch die heutige Jugend (inkl. Homeschooling) thematisiert wird. Doch es greift zudem weit darüber hinaus, geht aufs traditionelle Dorfleben (inkl. Kirchenthemen) ein und auf die (vergeblichen) Versuche des Erwachsen- und Flüggewerdens, in einem Alter, in dem man es laut Personalausweis schon lange, lange ist.
Die Lösungs-Versuche sind gar nicht so einfach und erst recht nicht ohne doppelten Boden, wie etwa »Aufobbfan« (»Aufopfern«) beweist, ein Gedicht, in dem die Trennung von den Eltern erst durch die mit ordentlich schwarzem Humor dargestellte finale, also tödliche Lösung aus Raffgier (die Tochter will das Familienvermögen für sich alleine) gelingt – womit das Gedicht auch direkt inhaltlich mit einem doppelten Boden schließt, nämlich der Verlagerung vom üblichen Erdboden auf den Grabboden. Und es wird aufgezeigt, dass die Frage, wie das mit dem Aufopfern letztlich gemeint ist, nicht immer so eindeutig ist: Die Tochter, die von sich behauptet, sie habe sich aufgeopfert, wird hier zur Täterin, der Vater, verliert durch sie Haus und Leben, wird von der Tochter aber eher als Täter begriffen …
Der Mensch Anton G. Leitner ist da deutlich harmloser als diese Protagonistin, zumindest wenn man seinem Gedicht »Du frogsd mi Sachn« glaubt. Und warum sollte man das nicht? Er hat es seiner Mutter Ingrid zum 80. geschrieben, und er erklärt in ihm: »Drum bleima / Zam, solang / Wias geed«.
Von großer Treue und Beständigkeit zeugt auch »Kleine Welt Runde mit F.« – vor Jahrzehnten hat es Leitner für seine Frau Felizitas geschrieben, nun liegt es auch in bairischer Übertragung vor, und dass es dem Band vorangestellt ist, passt nicht nur zu seiner Qualität, sondern zeigt auch, welche Bedeutung diese enge partnerschaftliche Bindung für den Dichter hat.
Und so, das wird klar, steht er ganz gut im Leben, auch wenn er sich in »Heazibumbbal« denkt: »Zefix! / Doni, ezad weasd oid!« Aber mit knapp 60 (diesen Sommer steht Leitners 60. an – und auch deswegen hat er »Wadlbeissn« jetzt herausgebracht, als Geschenk an sich und seine Leser zum runden Geburtstag) darf man sich das auch mal denken. Hauptsache, man legt sich damit dann nicht selbst zum alten Eisen. Aber die Gefahr ist bei dem umtriebigen Weßlinger Urgestein mit angeborenem Energieüberschuss wohl kaum gegeben.
Derber Humor und romantische Ader
Wie derb sein Humor auch sein kann und dabei doch wieder unterschwellig elegant, das zeigt »Oida Wixa« – dieser Gedichttitel wird nicht nur mit »In die Jahre gekommener Onanist« recht witzig-spritzig übersetzt, sondern zudem wird tatsächlich ein sich treuer, standhafter Junggeselle als Masturbierender gezeichnet – im knappen Haiku, einer hochtraditionellen und altehrwürdigen Gedichtform aus Japan.
Doch Leitner kann auch anders: Mit quasi romantischem Witz und durch die Zeilen sichtbaren sympathischem Augenblitzen erzählt er, wie er damals als angehender Jurist eine Kommilitonin für sich zu begeistern wusste und dann das Studium in den nächsten Semestern verlief: »Und der Stoff ist uns / Nie ausgegangen, obwohl wir / Meist unbekleidet waren.« Diese Stelle mag hier auch als ein Beispiel dafür dienen, dass die Übersetzungen immer wieder auch »einfach nur« für sich stehende Versionen sein können – mit nicht weniger poetischem Charme als die Dialektfassungen.
Spätestens aber im Gesellschaftskritischen lässt Leitner gerne den satirischen Gaul durchgehen, wie etwa hier:
Die Kinder von den Eltern der Generation Ich-Ich-Ich werden immer noch schlauer
»Ich verteile nur noch sehr gute Zensuren«, Sagt der Lehrer, »Dann erspare ich mir den Ärger Mit den Rechtsanwälten Der Eltern, und meine Schüler Benoten mich dafür mit Zwei plus im Evaluierungsbogen.«
De Kinda vo de gscheadn Äiddan wean oiwei no gscheida
»I teil nua no Oansa aus«, Sogd da Leera, »Nachad gibds koan Eaga mea Mid de Rechdsvadrea Vo de Äiddan, und de Schüla Gem mia aa a guade Nodn.«
Doppelmoral, Corona und große Polidigg – Gesellschaft kritisch im Blick
Der zweite Teil von »Wadlbeissn« heißt »Koana huifd da beim Woana« (»Keiner hilft dir beim Weinen«). Er birgt aktuelle Gesellschaftskritik in bairischen Versen (und freilich wieder hochdeutschen Entsprechungen). Hier geht’s etwa um »Greenwashing« (»Grea ogmschiad«) von Firmen und Politik und eine sozial wie ökologisch desolate Subventionspolitik, wenn etwa der Kauf von Luxusautos, wie hochgerüsteten Elektro-SUVs, massiv gefördert wird, und es wird kritisiert, dass im Straßenverkehr im Zweifelsfall das Recht des Stärkeren gelte (»Da Owa schdichd an Undda« ist hier im Bairischen die schafkopfmetaphorische Überschrift, »Groß und Klein« heißt das kurze Gedicht im Hochdeutschen, was etwa an Hans Fallada denken lässt – also ganz andere, aber nicht weniger passende und ebenfalls volksnahe Assoziationsräume aufmacht).
Es geht um die »German Angst« (in der dialektalen Version »Bärig-bairische Angsd«) einer Gruppe neurechter »Schbazia-Bia-Dringga« (»Wegbier-Verzehrer«) und um die selbstherrlichen »Kannabäpanza«, also Rentner, die mit ausufernden Elektro-Fahrradkombinationen (Dreirad mit Anhänger) und ebenso unbedachter wie selbstherrlicher Unverforenheit den Ausflugsraum (und übertragen auch den gesellschaftlichen Raum) für sich beanspruchen. Dieser »rausgefressne, kaasige Renddna« (»überernährte, bleichgesichtige Ruheständler«) und »sei Drachaweiwaz« (»seine matronenhafte Ehefrau«) begegnen einem im Gedicht »Am Sonndag aufm Kannabä ins Greane« (»Am Sonntag auf dem Sofa ins Grüne«).
Dem Thema Doppelmoral nimmt sich »Noch de Feiadog« (»Nach den Feiertagen an«), hier werden Weinflaschen im großen Stil verschämt von all denen entsorgt, die sonst immer Enthaltsamkeit predigen. »Do schaungs saubläd aus / Da Wäsch«, all die Wasserprediger-und-Weintrinker, wenn sie sich dort – im doppelten Sinne – selber begegnen am Altglascontainer.
Dem Thema Corona wird auch Platz gegeben; etwa wenn es um die mehrfach fragwürdige Beschaffung von »moadsvui Massgn« (»ausreichend Atemschutzmasken«) durch den Staat geht in »Ma huifd, wo ma ko« (»Man hilft, wo man kann«) oder um die teils launig abgehandelte Frage von Lockdown und Freiheit. Zudem werden verengte öffentliche Diskursräume pointiert moniert (in »De Gschroamauladn nochgem«, »Den Schreihälsen nachgeben«), es findet sich »Da Schlüssl zu Brüssl« (im Hochdeutschen »Der EU-Code«), es werden »Polidigga / beim Woadd gnomma«, im letzteren Fall zeigt sich dann: »A jeds Vaschbrechn / A Vaschbrecha« (Hochdeutsch lautet das Gedicht: »Politik / auf dem Prüfstand: // Ein jedes Versprechen / Ein Verspecher«), und es wird der »Hinddabänggla« kritisch beleuchtet.
Krieg und Flüchtlingskrise – nicht vorbei, nur ausgeblendet
Dass die Themen Krieg und Flüchtlingskrise nicht vorüber sind, aber beständig Gefahr laufen, einfach aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden, machen zwei Gedichte deutlich. Zum einen das kapiteltitelgebende »Koana huifd dia beim Woana«, in dem einem SPD-Kommunalpolitiker die Autoreifen aufgeschlitzt werden, weil dessen Frau in der Flüchtlingshilfe engagiert ist.
Zum anderen das Poem »Njusfläsch-Abbgräid Zwoaachdzeen« (»Newsflash-Upgrade 2018«), in dem hinterfragt wird, wie Nachrichten funktionieren – und wie sinnhaft es ist, dass Fußballnews in Eilmeldungen durchgegeben werden, aber der Krieg in Afghanistan schleichend aus den Nachrichten verschwindet. Es beginnt: »Mei Händi hod friara imma / Blobb gmachd, wenns unndn / In Kabuul oan zrissn hodd. Heid / Zreissds doadn no meara Leid, // Awa mei Händie machd koan / Muggsa mea.«
Heazschboadd, Hygienekonzepte und Cognac-Cola-Weißbier
Das leibliche Wohl ist die Klammer, die das dritte und letzte Kapitel zusammenhält. Dabei ist sie durchaus als weit gefasst zu verstehen: Sie meint kulinarische (und auch spirituelle) Genüsse ebenso wie die Orte, die zu ihnen gehören, persönliche Krankheit, Spitalserlebnisse und Covid ebenso wie Sex und den Tod an sich. Dass leibliches Wohl auch sehr trügerisch daherkommen kann, weiß Anton G. Leitner, der 2018 eine doppelseitige Lungenembolie und 2019 einen Herzinfarkt hatte, sich davor aber jeweils fit fühlte, nur zu genau. Gewiss auch deshalb trägt dieses Kapitel die Überschrift »Da scheene Schein« (»Der schöne Schein«).
Es beginnt mit einem melancholisch-augenzwinkernden Bericht aus der »Oa-Mo-Heazschboaddgrubbn« (»Ein-Mann-Herzsportgruppe«); in ihm attestiert er sich, dass er nun, offenkundig via Ergometerrad, »Auf da Schdäi / Um d’ hoibe // Wäid / Gradld« ist (»Auf der Stelle / Um die halbe // Welt / Geradelt«). Im insbesondere numerisch sinnvollerweise folgenden »Zwoabeddzimma« ereilt ihn dann die Erkenntnis: »Selbst die beste Krankheit / Taugt halt nichts.« (»De scheensde Grangheid / Daugd hoid nix.«)
Nicht weniger humorvoll stellt er dann im nächsten Poem fest, dass der Arzt und der Vater beide das Gleiche von ihm wollen, nämlich dass er möglichst viel trinkt, auch wenn er es doch nicht verträgt. Der feine Unterschied: Spricht der Arzt vom Wasser, nötigt der Vater ihm eine Gesund-mach-Mischung nach altem Familienrezept (dunkles Weizen, Cola, Cognac) auf. Diese führt zum Magenauspumpen und also wieder ins Krankenhaus, wo nun erneut eine »Wasserfolter« anhebt, der grauenvolle Kreislauf ist perfekt. Bezeichnenderweise trägt dieses Gedicht im Hochdeutschen den Titel »Kassensprechstunde« und im Bairischen heißt es »Bauanschbrechschdund«.
Das Thema politisch-wirtschaftlicher Etikettenschwindel, wie schon bei den Öko-SUVs, greift Leitner in »Da Ladn brummd« (»Das Geschäft läuft«) wieder auf – auch hier steht übrigens ein neues Auto am Ende, eigentlich geht es aber darum, dass das hier als Bio-Fisch verkaufte Flossen-Gut tatsächlich industriellen Fischfarmen entspringt, so dass die Verbraucher getäuscht sind und der Händler in seinem Feinkostgeschäft an ihrem guten Willen verdient, ohne dass Natur, Umwelt, Fische etwas davon hätten.
Kulinarik und Corona kommen schließlich zusammen, wenn es ums »Spatzenfasten« (»Obschbozn«) geht: Die Biergärten sind geschlossen, wo sonst reichlichst für die gefiederten Gierhälse abfällt, können sie nun lediglich »Ihre Schnäbel / An leeren Holztischen / Wetzen« (im Oberbairischen ist der Spatz solo, hier heißt es, er müsse »Sein Schnabl / Ans Dieschegg hi- / Wezzn«).
Gewiss auch für ihn bedeutet es dann einen »Hoffnungsschimmer«, wenn im Lockdown die Sonne zwischen den Wolken hervorblitzt, doch es bleibt ein »Blassa Schimma« (so der bairische Titel). Und als im nächsten Gedicht an den Hundstagen (»Hundsdog« – im schriftlichen Dialekt auch ein ins Absurde führende Wortspiel mit dem Englischen) die Biergärten dann doch offen haben, stürzt sich das lyrische Ich quasi ausgedörrt auf den Krug – seelisch noch mehr verdurstet als körperlich. Ein »Flodda Oana aufm Männagloo« (»Flotter Einer auf der Herrentoilette«) hätte für ihn zwar nicht sein müssen (hier geht es um einen »Gschdönbiesla«, einen »Stöhnpisser«, der neben ihm – und auch sich – steht), doch immerhin hat es nachfolgend dann innovative Gedanken zum »Hygienekonzept« (»A sauwana Sach«) parat. Passend dazu schleicht es sich übrigens später auch noch als Tod auf den Maskenball einer Pflegestation …
Kirche, Sex und Todeslisten
Doch zunächst unternimmt das lyrische Ich einmal eine »Woifaad« (im Hochdeutschen »Wallfahrt oder Wohlfahrt«), diese zeigt dann ganz den bayrisch-katholischen Genussmenschen und hebt so an: »De Glosdaboazn / Hod zua ghabd, oiso / Hamma in d’ Kiach eini- / Gschaugd.« (»Die Klosterwirtschaft / War geschlossen, also / Kehrten wir in der Kirche / Ein.«) Auf dieses Kirchenerlebnis folgt eine Anekdote mit Nonne in freier Wildbahn und hierauf eine Erinnerung an herrlichen Sex in »Foaewwa jang« (»Ewige Jugend«).
Der Band schließt ernst, poetisch, versöhnlich mit zwei kleinen Texten, die das Zeug dazu haben, lange nachzuhallen: »Wos kummd« (»Was kommt«) und »Da scheene Schein«. Behandelt das erste der beiden Poeme das Altern, das Einsamerwerden, da die selbst geführte Liste der Toten wächst und wächst, bis man selber dran ist, ruft das zweite im ganz humanistischen Sinne zu mehr Entspanntheit auf, zum Zulassen auch hinterfragbarer Sichtweisen, wenn sie denn dem persönlichen und gewiss auch allgemeinen Frieden dienen. Beschließen soll diese Buchvorstellung das Todesgedicht im bairischen Original:
Wos kummd
D’ Lisdn Vo dene, de Nimma do san, Wead oiwei no Länga und länga Und länga und länga und länga,
Bisd am End säiwa Draufschdeesd.
Bibliografische Daten:
Anton G. Leitner Wadlbeissn Zupackende Verse Bairisch – Hochdeutsch Volk Verlag Mai 2021 Hardcover, SU, Lesebändchen 200 Seiten, 18,- Euro ISBN 978-3-86222-352-7
»Wadlbeissn« heißt der rund 200 Seiten starke neue Solo-Band Anton G. Leitners, der neben bairischen Versen auch deren hintersinnige hochdeutsche Nachdichtungen durch den Autor selbt enthält. Soeben ist er in hochwertiger Ausstattung – Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen – im Volk Verlag (München) erschienen. Nach »Schnablgwax« (Editionen Lichtung / DAS GEDICHT 2016) soll auch er quasi zugleich dem Volk aufs Maul schauen, seine Affekte hinterfragen und es, wo es nötig ist, denen da oben mal ordentlich heimleuchten.
»mutig und ziemlich gut« – Pressestimmen zum Vorgänger
»Leitner dichtet aufsässig und offensiv, niemals nur lieblich, wenn dann schon innig, intim und zugespitzt, und das macht den Reiz aus. Mutig ist das, und ziemlich gut.« So war etwa auf Bayern 2 als Urteil über »Schnablgwax« zu hören. Und Alexander Altmann befand im Münchner Merkur zu Leitners erstem Mundartband: »Der Clou ist, dass es Leitner gelingt, den Denkrhythmus zu spiegeln, der dem ›Native Speaker‹ des Bairischen eigen ist.« Dass auch die Süddeutsche Zeitung ihn behandelte, mag wenig überraschen, Sabine Reithmaier fand ihn »vergnüglich zu lesen«. Dass selbst der ferne rbb über ihn berichtete, ist aber bemerkenswert: Salli Sallmann attestierte hier: »Leitners Verse entspringen immer dem vollen Leben«, und er lasse »mit ihnen die Fassaden bröckeln«.
»Versreporter mit kabarettistischem Biss« – Klappentext von »Wadlbeissn«
Auf dem Gipfel der subversiben Mundartdichtung: Anton G. Leitner ist seit jeher ein Poet des Realen, der falsche Heimattümelei vom Kopf auf die Füße stellt. Indem er Situationskomik und Sozialkritik in seine Muttersprache einbettet, gelingt ihm ein »pointiertes Portrait bayerischer Wesensart« (MUH-Magazin). Leitners minutiöse Beobachtungsgabe macht ihn zu einem investigativen Vers-Reporter mit kabarettistischem Biss und hohem Unterhaltungswert. Damit der fließende Rhythmus des Bairischen auch jenseits weiß-blauer Horizonte neue Resonanzböden findet, hat der Autor jedem seiner 67 Mundartgedichte eine Nachdichtung ins Hochdeutsche beigesellt.
Bibliografische Daten zum oberbairischen Lyrikhappen:
Anton G. Leitner Wadlbeissn Zupackende Verse Bairisch – Hochdeutsch Volk Verlag, Mai 2021 Hardcover, SU, Lesebändchen 200 Seiten, 18,- Euro ISBN 978-3-86222-352-7
Leseproben aus »Wadlbeissn«
Da scheene Schein
Need oiss, wos is, Is aa so, wiasd moansd, Dass is. Awa
Wennsd moansd, dass so Sei soi, nachad lassmas Hoid so sei.
Der schöne Schein
Nicht alles, was ist, Ist auch wirklich so, wie du Meinst. Aber
Wenn du wirklich meinst, dass es so Sein soll, dann lassen wir es Halt so sein.
* * *
A wuida Brumma
»Do schaug hea Auf mein Busn, do Hod mi a Webbs Gschdocha«, sogds Ganz webbsad und Reissd iran AusSchnidd auf in Dobbe- Dee, woi awa beim Näa Hischaung Goa koan Schdiech Siech – und aa koan BeeHaa, sondan Oiss nua no dobbed Und vaschwomma. Und grod summa Duads und brumma In meim Kobbf.
Der schöne Schein
»Da, schau mal Auf meinen Busen, da Hat mich eine Wespe Gestochen«, sagt sie Ganz aufgestachelt und Reißt ihren Aus- Schnitt auf in Größe Doppel- D, wo ich aber bei Näherer Betrachtung Gar keinen Stich Entdecken kann – und auch Keinen Büstenhalter, stattdessen Seh ich alles nur noch doppelt Und verschwommen. Und es summt und Brummt wie wild In meinem Kopf.
* * *
A sauwane Sach
Schbugg da A boa Moi In d’ Hend Und schlog Danoch ei Bei oam, Dea di Üwan Diesch Ziang wui.
Hygienekonzept
Spuck dir Mehrfach In die Hände Und schlag Danach ein Bei einem, Der dich Über den Tisch Ziehen will.
Meine Reclam-Anthologie „Der Himmel von morgen. Gedichte über Gott und die Welt“ ist seit wenigen Tagen auf dem Markt. Sie ist, wie ich finde, eine der schönsten Anthologien geworden, die ich je gemacht habe.
Über die Sammlung:
Woher kommen wir, wohin gehen wir? Jeder Mensch stellt sich im Laufe des Lebens die existenzielle Frage nach seinem Glauben oder Nichtglauben an Gott. Und so hat diese Sinnsuche in allen Jahrhunderten die Dichtung immer wieder neu inspiriert. Anton G. Leitner hat nun 100 neue Gedichte von über 90 zeitgenössischen Lyrikerinnen und Lyrikern zusammengetragen. Herausgekommen ist eine einzigartige Sammlung aktueller Sprachkunstwerke im Wechselspiel mit dem Allmächtigen.
Mit Gedichten von Michael Augustin, Sujata Bhatt, Josef Brustmann, Bumillo, Manfred Chobot, Fritz Deppert, Alex Dreppec, Tanja Dückers, Dorothea Grünzweig, Uwe Kolbe, Anatoly Kudryavitsky, Günter Kunert, Fitzgerald Kusz, Augusta Laar, José F. A. Oliver, Arne Rautenberg, Gerhard Rühm, SAID, Ludwig Steinherr, Jan Wagner und vielen anderen.
Anton G. Leitner, geb. 1961 in München, lebt als Schriftsteller und Verleger in Weßling (Lkr. Starnberg). Seit 1993 ediert er die buchstarke Jahresschrift Das Gedicht, seit 2014 auch Das Gedicht chapbook. German Poetry Now. Leitner veröffentlichte bislang mehr als 40 Anthologien, zuletzt im Reclam Verlag Heimat. Gedichte (2017). Von ihm erschienen bislang elf lyrische Einzeltitel, u. a. Schnablgwax. Bairisches Verskabarett (2016, auch als E-Book und Hörbuch). Leitner wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem »V. O. Stomps-Preis« der Stadt Mainz, dem »Bayerischen Poetentaler« (2015) und dem »Tassilo-Kulturpreis« der Süddeutschen Zeitung (2016).
Leitner, Anton G. (Hrsg.) Der Himmel von morgen Gedichte über Gott und die Welt Hardcover 136 S. € 10,00 (D) ISBN: 978-3-15-011051-5
Leseproben:
Georg Maria Roers SJ
Isaak und Ismael
Sara lacht verlegen noch bevor Isaak das Licht der Welt erblickt
der Vater ist der Vater des Glaubens er sabbert eine hundertjährige Litanei
während die Mutter Isaaks schon bald ans Erbe ihres Sohnes denkt erdverbunden
wird Abrahams Nebenfrau überraschend in die Wüste geschickt kurz entschlossen
hatte Hagar dem Ismael Leben geschenkt auf inniges Bitten der buckeligen Sara damals
und als das Wasser zur Neige geht soll Ismael dran glauben unter einem Strauch
sein Schatten rettet ihm das Leben und die Tränen der reuigen Mutter
Christoph Leisten
eucharistie
manchmal, wenn mutter die kleinen oblaten mitbrachte aus der drogerie, spielten wir an stillen nachmittagen kommunion im schlafzimmer der eltern.
vor der kreuzigungsgruppe, in deren hölzernem podest sich eine spieluhr verbarg, schlossest du die augen, botest mir deine zunge dar.
das war der moment, da ich etwas empfand, das ich nicht begreifen konnte und das wohl nur deshalb so anziehend blieb.
Babette Werth
Saum, selig
In der Fremde ans Ufer
gespült, die Jakobsmuschel
meditiert.
Inhaltsverzeichnis
Martin Arndt (geb. 1956) – Hintergrundrauschen – Vorhofflimmern Michael Augustin (geb. 1953) – Mein toter Hamster Ulrich Beck (geb. 1964)- halb sechs Ulrich Johannes Beil (geb. 1957) – Amos Sujata Bhatt (geb. 1956) – Sturm Thomas Böhme (geb. 1955) – (1) Einflüsterungen / (2) Erntedank Josef Brustmann (geb. 1954) – das fahrrad Renate Buddensiek (geb. 1939) – Gebet des Karpfens zur Weihnachtszeit Jürgen Bulla (geb. 1975) – Donnerstagsfuge Bumillo (geb. 1981) – Flieg Gott, flieg! Markus Bundi (geb. 1969) – Decharge Rudolf Bussmann (geb. 1947) – Versuch zu meditieren Paul-Henri Campbell (geb. 1982) – elfenbeinkästchen Manfred Chobot (geb. 1947) – (1) hatuey (†1512 in cuba) / (2) verwirrung Fritz Deppert (geb. 1932) – Sain-Just de Valcabrère Nikolaus Dominik (1951–2012) – Religionsunterricht Richard Dove (geb. 1954) – Gott gemäß Google Alex Dreppec (geb. 1968) – Wasserläufer Andreas H. Drescher (geb. 1962) – Papiergeläut Tanja Dückers (geb. 1968) – Kuscheln mit Gott Christian Engelken (geb. 1965) – Urbi et Orbi Christophe Fricker (geb. 1978) – Im Beisein Norbert Göttler (geb. 1959) – Die Glut durchwühlen Andreas Graf (geb. 1958) – Gläubige Wolf-Dieter Grengel (geb. 1938) – Ein Fünfter Dorothea Grünzweig (geb. 1952) – (1) erfahrnis in rissiger arktischer nacht / (2) plötzlich alles da Thomas Hald (geb. 1967) – mariawald Gert Heidenreich (geb. 1944) – Kreuzabnahme Eva Höcherl (geb. 1950) – Wie jede Frau dieser Generation Robert Höpfner (geb. 1954) – I.N.R.I. Dieter Höss (geb. 1935) – Bibelfest Natascha Huber (geb. 1986) – Einer unter euch Gerald Jatzek (geb. 1956) – Ökonomisches Konzil Erich Jooß (1946–2017) – Zufällige Begegnung in Oberschwaben Barbara Maria Kloos (geb. 1958) – kommunionkleid hörst du mich Uwe Kolbe (geb. 1957) – Ankunft Matthias Kröner (geb. 1977) – Kapitalistisches Glaubensbekenntnis Hans-Werner Kube (geb. 1953) – hier und dort Anatoly Kudryavitsky (geb. 1954) – Judas Holger Küls (geb. 1963) -Erlöserkirche Günter Kunert (geb. 1929) – (1) Elegie / (2) Michelangelo: Gott belebt Adam Fitzgerald Kusz (geb. 1944) – gloggn / glocken Axel Kutsch (geb. 1945) – Einsicht Augusta Laar (geb. 1955) – psalm Georg Langenhorst (geb. 1962) – Thomaszweifel Christine Langer (geb. 1966) – Lightning Christian Lehnert (geb. 1969) – Böhmisches Wegekreuz Christoph Leisten (geb. 1960) – (1) am ende, / (2) eucharistie Anton G. Leitner (geb. 1961) – Der Tod Maik Lippert (geb. 1966) – Die Pastorin war gerade mittendrin Britta Lübbers (geb. 1960) – Magdalenen-Heim, Irland Hans-Hermann Mahnken (geb. 1955) – St. Jacobi Salean A. Maiwald (geb. 1948) – Die Botschaft Sepp Mall (geb. 1955) – Mariae Geburt Thilo Mandelkow (geb. 1982) – Nachgereichtes Schöpfungsereignis Jana Mathy (geb. 1997) – religion Renate Meier (geb. 1950) – do it yourself Klaus Merz (geb. 1945) – Jüngstes Gericht Sabine Minkwitz (geb. 1962) – Bauplan, blassorange Andreas Noga (geb. 1968) – Sixtinische Kapelle José F. A. Oliver (geb. 1961) – bauern brot Andreas Peters (geb. 1958) – gebet Barbara Peveling (geb. 1974) – logischer himmel Barbara Pumhösel (geb. 1959) – Kindergedicht Judith-Katja Raab (geb. 1954) – Ketzerisches Credo Thomas Rackwitz (geb. 1981) – wer glaubt schon an die fünfundneunzig Lutz Rathenow (geb. 1952) – Schöpfer Arne Rautenberg (geb. 1967) – gebet auf der arche noah Andreas Reimann (geb. 1946) – Tauflied für anne Wolfgang Richter (geb. 1941) – Sieger Georg Maria Roers SJ (geb. 1965) – Isaak und Ismael Hendrik Rost (geb. 1969) – Exodus Gerhard Rühm (geb. 1930) – (1) alpha bete / (2) dreizeiler zur ewigkeit SAID (geb. 1947) – von ihren bewachern verfolgt Salli Sallmann (geb. 1953) – Gottes Werk Walle Sayer (geb. 1960) – (1) Der Narr erteilt den Schlußsegen / (2) Psalm 90,10 Sabine Schiffner (geb. 1980) – trauen Helga Schulz Blank (geb. 1948) – Mittag in Dubai Kirstin Schwab (geb. 1976) – bitte nicht berühren Stefan Schwarzmüller (geb. 1963) – Herr, Alfons Schweiggert (geb. 1947) – (1) Missionierung / (2) Warum? Ludwig Steinherr (geb. 1962) – Ite, missa est Jochen Stüsser-Simpson (geb. 1950) – Lob der Beichte Ralf Thenior (geb. 1945) – Kuan Yin Gabriele Trinckler (geb. 1966) – rahel weint Jan Wagner (geb. 1971) – an jona Babette Werth (geb. 1955) – (1) Saum, selig / (2) umeinander Andreas Wieland-Freund (geb. 1955) – Da du bist Helmund Wiese (geb. 1949) – und wenn Barbara Zeizinger (geb. 1949) – Unentschieden in der Nachspielzeit Johannes Zultner (geb. 1956) – sonntags
Wenn aus der aktuellen Ausgabe von DAS GEDICHT ein Reclam-Klassiker wird: Anton G. Leitner, Lyriker und Herausgeber der Zeitschrift DAS GEDICHT, hat aus der Fülle neuer Gedichte über den heute viel diskutierten Begriff der Heimat seine Best-of-Auswahl getroffen, die er mit »klassischer« Lyrik in eine spannende Beziehung bringt. Heimat – was ist das eigentlich? Die Orte der Kindheit, die Sprache, die man spricht, kulturelle Besonderheiten der Region, aus der man kommt – oder nur eine Projektionsfläche für (meist) melancholische Gefühle? Auf jeden Fall ist Heimat etwas sehr Individuelles. Dieser ganz persönlichen Sicht widmen sich Nora Gomringer, Ulla Hahn, Franz Hohler, Hanna Johansen, Lutz Rathenow, Frantz Wittkamp und andere in ihren Gedichten, ganz ohne verklärende »Tümelei«.
Hardcover 96 S. € 10,00 (D) ISBN: 978-3-15-011099-7
David Westphal Was für eine Zeit 2 totale Kriege 1 deutscher Herbst Plötzlich Wende und Nichts dazugelernt Nichts gelernt Nichts
Joachim Ringelnatz Angstgebet in Wohnungsnot Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht Uns aus der Wohnung jagen. Was soll ich ihr denn noch sagen – Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!? Ich ringe meine Hände. Weil ich keinen Ausweg fände, Wenn’s eines Tags so wirklich wär: Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, – Daß das auf der Straße stände. Sollt ich’s versetzen, verkaufen? Ist all doch nötigstes Gerät. Wir würden, einmal, die Not versaufen, Und dann: wer weiß, was ich tät. Ich hänge so an dem Bilde, Das noch von meiner Großmama stammt. Gott, gieße doch etwas Milde Über das steinerne Wohnungsamt. Wie meine Frau die Nacht durchweint, Das barmt durch all meine Träume. Gott, laß uns die lieben zwei Räume Mit der Sonne, die vormittags hineinscheint.
Kurt Tucholsky Noch immer Zunächst einmal: der Deutsche schreibt, wenn ihm nichts anders übrig bleibt. – Er fertigt sich für jeden Krempel als erstes einen blauen Stempel und gründet um den Stempel froh ein großes Direktionsbureau. Und das Bureau beschäftigt Damen und trägt auch einen schönen Namen und hat auch einen Kalkulator und einen braven Registrator und einen Chef und Direktoren und vierzehn Organisatoren und einen Pförtner für die Nacht. Ihr fragt, was so ein Amt nun macht? Es macht zum Beispiel Schwierigkeiten. Denn diese muß es ja bereiten, zu zeigen, daß es auf der Welt, und daß es andern überstellt. (Und all das kostet wessen Geld?) So schwitzt nun über wunderbaren und komplizierten Formularen und schreibt sie voll und füllt sie aus und dann geht artig nur nach Haus! Und damit ist die Sache richtig. Was macht es noch? Es macht sich wichtig. Und es erläßt mit Schwung Erlässe und prüft Papiere und prüft Pässe. Verordnung folgt auf Paragraphen »betreffend Straßenhandel mit Schafen«, »bezüglich Alligatorenfutter« – aber die Butter ist für den kleinen Mann verratzt und leider offenbar zerplatzt, und all dies hat das Amt verpatzt. Von dieser Sorte gibts weit über hundert. Ihr seid darüber so verwundert? Ach Gott, ihr müßt nicht traurig sein: Wir bilden uns noch immer ein, mit §§ seis getan. Der alte dumme deutsche Wahn. Ein Amt kann keine Nüsse knacken. Das Leben müßt ihr kräftig packen. Denkt an die Wirtschaft! Denkt an morgen! Aber ihr müßt euch ja mit Ämtern versorgen.
Melanie Arzenheimer Gelobtes Land Wo nach der Ankunft die Herkunft die Zukunft nicht überschattet.
Inhaltsverzeichnis Andreas Altmann (geb. 1963) – volkseigen Bettina von Arnim (1785–1859) – Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Melanie Azenheimer (geb. 1972) – Gelobtes Land Michael Augustin (geb. 1953) – Bi mi to Huus Ulrich Beck (geb. 1964) – ostersonntag Leander Beil (geb. 1992) – Mallorca Ulrich Johannes Beil (geb. 1957) – Heim(at)lich Anna Breitenbach (geb. 1952) – Alte Geschichten Josef Brustmann (geb. 1954) – dass ich keine muttersprache habe Jürgen Bulla (geb. 1975) – Winter ’77 Manfred Chobot (geb. 1947) – nichts als wirtschaftsflüchtlinge Hans-Jürgen Döring (geb. 1951) – C’est dans la boîte Nikolaus Dominik (1951–2012) – Biergarten Richard Dove (geb. 1954) – Ich bin ein Bogotano Ulrike Draesner (geb. 1962) – für münchen Andreas H. Drescher (geb. 1962) – Großmutter beim Bohnenschälen Joseph von Eichendorff (1788–1857) – (1) Kaiserkron’ und Päonien rot – (2) Vorbei Marko Ferst (geb. 1970) –Immer im Herbst Christian Futscher (geb. 1960) – Was mir als Erstes einfällt Thomas Glatz (geb. 1970) – Oberostendorf Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) – Die Lustigen von Weimar Nora Gomringer (geb. 1980) – Heimat Helmut Haberkamm (geb. 1961) ¬ Derhamm bis dordhinaus Annette Hagemann (geb. 1967) – nicht rio Ulla Hahn (geb. 1946) – Muttersprache Thomas Hald (geb. 1967) – mining, berggasse 6 Heinrich Heine (1797–1856) – (1) Mein Kind, wir waren Kinder – (2) Nachtgedanken Dieter Höss (geb. 1935) – Qual nach Wahl Franz Hohler (geb. 1943) – Oerlikon Arno Holz (1863–1929) – Zwischen Gräben und grauen Hecken Jan-Eike Hornauer (geb. 1979) – Abgrenzung Nancy Hünger (geb. 1981) – Kamelit Hanna Johansen (geb. 1939) – Heimat Erich Kästner (1899–1974) – (1) Kleine Führung durch die Jugend – (2) Vorstadtstraßen Mascha Kaléko (1907–1975) – (1) Auf einer Bank – (2) Sozusagen ein Mailied Klabund (d. i. Alfred Georg Hermann Henschke; 1890–1928) – (1) Ein Bürger spricht – (2) Oberammergau in Amerika Jan Koneffke (geb. 1960) – Kaprun Gerhard C. Krischker (geb. 1947) – so geeds scho oo Matthias Kröner (geb. 1977) – Dir gehört ja nichts Fitzgerald Kusz (geb. 1944) – nachbann Axel Kutsch (geb. 1945) – Umklammerung Stan Lafleur (geb. 1968) – Jägerzaunsonate Else Lasker-Schüler (1869–1945) – Heimweh Anton G. Leitner (geb. 1961) – KZ-Rosl Maik Lippert (geb. 1966) – Von Mostindien hörte ich Ruth Loosli (geb. 1959) – Fragen zur Heimat Sepp Mall (geb. 1955) – Im Revier Jörg Neugebauer (geb. 1949) – Seit ich in Berlin wohne Friedrich Nietzsche (1844–1900) – Vereinsamt Andreas Noga (geb. 1968) – Mehr nicht Hellmuth Opitz (geb. 1959) – Die Himmelfahrt bei Herford Mit Genehmigung von Hellmuth Opitz, Bielefeld. Wolfgang Oppler (geb. 1956) – Die Belohnung Ilma Rakusa (geb. 1946) – Heimat 72 Lutz Rathenow (geb. 1952) – Gesichter in Thüringen Karla Reimert (geb. 1972) – Die Finanzkrise entlässt ihre Kinder Joachim Ringelnatz (d. i. Hans Bötticher; 1883–1934) – (1) Angstgebet in Wohnungsnot – (2) Die sonnige Kinderstraße – (3) Heimliche Stunde – (4) In Betrachtung eines Teppichs – (5) Stuttgarts Wein- und Bäckerstübchen – (6) Wie mag er aussehn? Georg Ringsgwandl (geb. 1948) – Krattla von Minga Franziska Röchter (geb. 1959) – jökeltrine, knötterpott Georg Maria Roers Sj (geb. 1965) – Vor der Stadtmauer Walle Sayer (geb. 1960) – Und alles Erfundene nur vorauserzählt war Kathrin Schmidt (geb. 1958) – septemberkurzschrift Renate Schön (geb. 1931) – Kurz in schwarze Haare greifen Bill Soutter (geb. 1958) – Ablandiger Ernst Stadler (1883–1914) – Fluß im Abend Armin Stingl (geb. 1961) – Aussiedlertreck 1946 Theodor Storm (1817–1888) – Die Stadt Ralf Thenior (geb. 1945) – Graubrotsehnsucht Gabriele Trinckler (geb. 1966) – identität Kurt Tucholsky (1890–1935) – (1) Deutscher Abend – (2) Home, sweet home – (3) Noch immer Siegfried Völlger (geb. 1955) – auf der wiese sind Frank Wedekind (1864–1918) – Heimweh Babette Werth (geb. 1955) – behaust David Westphal (geb. 1989) – Was für eine Zeit Franz Wittkamp (geb. 1943) – Meinland
Cookie-Zustimmung verwalten
Um Ihnen ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern bzw. darauf zuzugreifen. Wenn Sie diesen Technologien zustimmen, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn Sie Ihre Zustimmung nicht erteilen oder zurückziehen, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional Immer aktiv
Der Zugriff oder die technische Speicherung ist unbedingt für den rechtmäßigen Zweck erforderlich, um die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Abonnenten oder Nutzer ausdrücklich angefordert wurde, oder für den alleinigen Zweck der Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Voreinstellungen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Nutzer beantragt wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Aufforderung, die freiwillige Zustimmung Ihres Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht zu Ihrer Identifizierung verwendet werden.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.